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Alexander von Wiedenbeck // Wetzlar (Germany), 2020

Prolog

Wenn ich zurückblicke wie oft sich diese sogenannte Vita meines Lebens schon gewandelt und verändert hat, komme ich um ein kopfschüttelndes Schmunzeln nicht herum. Bei meiner Arbeit, meiner Fotografie und meinen Geschichten ist es mir stets das oberste Gebot, ehrlich und authentisch zu sein. Ein Merkmal, welches eigentlich die Wiedererkennung und der rote Faden in meiner Arbeit ist. Dass sich dann ausgerechnet bei meinem eigenen „Lebenslauf“, welcher ja bien sûr das ehrlichste und authentischste Werk überhaupt sein sollte, dass sich ausgerechnet dabei der erste Impuls aus dem Bauch heraus unterdrücken lässt und der Kopf und seine übertriebenen Überlegungen die gute Geschichte mit zu viel Phrasendrescherei zerstört… das strotzt doch nur so vor Ironie, oder? Aber der Schuster hat ja bekanntlich die schlechtesten Leisten! So manches Mal hatte ich diese Zeilen zu meinem Leben selbst verfasst, manchmal lies ich sie auch von anderen verfassen. Doch wie man es auch macht, am Ende sitzt man dann immer wieder vor diesem, ich bitte um Verzeihung für diesen plumpen Ausdruck, aber man sitzt vor diesem „Brei“ eigentlich gut durchdachter Worte und überlegt zum gefühlt hundertsten Male, ob man jetzt „aber“ oder „jedoch“ schreiben soll. Dies einzig und allein der Angst geschuldet, jemand anderes könnte es auf die falsche Seite der Waage legen… völlig grotesk!

Deshalb ist jetzt Schluss mit diesem Unsinn. Diese folgende Zeilen, mal wieder komplett von mir selbst aus meiner Sicht der Dinge & Eindrücke verfasst, werden nun hoffentlich auf ehrliche und authentische Weise zeigen, wer ich wirklich bin! … allerdings muss ich da auch gleich zu Beginn gestehen, dass das mit der eigenen Vergangenheit immer so eine Sache ist. Man sieht die entfernten Ereignisse heute vielleicht ganz anders, als das gestern noch der Fall war. Unser Blick, unsere Sichtweise ist stets im Wandel, oder zumindest geht mir das so. Die mit zunehmenden Alter immer schneller fließende Zeit verändert uns, lässt uns reifen und verändert, wenn auch manchmal nur in kleinen Schritten, verändert sie unser hier und jetzt und entwickelt ein neues Sehen. Ein Umstand, welcher für einen Fotografen und Geschichtenerzähler wie mich vermutlich auch ganz gut ist.

Bevor ich mich hier nun wieder in unnötiger Schwätzerei verliere, erstmal genug der einleitenden Worte… heute ist der 04.07.2020, wir haben jetzt 16.38 Uhr, es ist der Status Quo – mein Name ist Alexander von Wiedenbeck ich bin Fotograf und Geschichtenerzähler aus Deutschland.

 

Kapitel 1 – aller Anfang ist schwer

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in den Tiefen der bayrischen Provinz, nahe der Grenze zu Österreich, passierte zwangsläufig in den frühen Jahren nicht viel. Verständlicherweise konnte man in einem 500 Seelen-Dorf auch nicht wirklich über die Stränge schlagen. Jeder kennt jeden, jeder Schritt fühlte sich überwacht und gewertet an und wehe man verhielt sich nicht so, wie es von einem erwartet wurde. Einzig allein die „Räuber & Gendarm“ Spiele in den Wäldern boten uns Kids eine Möglichkeit auszubrechen, um dem Gefühl von echter Freiheit ein klein wenig näher zu kommen. Wenn ich aber so recht überlege, kann ich mich noch lebhaft an die ein oder andere kleine Aktion erinnern, welche einen späteren, kreativen Werdegang hätte erahnen lassen können. Um nur eine witzige Anekdote zu erzählen:

Meine Großeltern wohnten zu jener Zeit in den Vereinigten Staaten. (ich komme später nochmal darauf zurück) Halbjährlich besuchten sie uns in der alten Heimat und am Ende war es stets ein geradezu feierliches Ereignis für die ganze Familie, Oma und Opa zur Abreise wieder gemeinsam zum Flughafen München zu bringen, um sie bis zum nächsten Wiedersehen zu verabschieden. Dieses Highlight fand sein Ende dann immer am Besucherhügel, von welchem aus man die Startbahn des Flughafens gut beobachten konnte. Der Flieger selbst immer gut zu erkennen, da zu der Abflugzeit nur eine einzige Maschine von Delta Airlines startete, so konnten wir den beiden zum Abschluss noch winken. Meine Mutter hatte damals so ein Art billige Katalogkamera (Neckermann, Quelle, Otto oder was es damals so alles gab) mit einem 36er Film dabei. Für all jene die das nicht mehr kennen, die Zahl bedeutet die Anzahl der Bilder die man mit dem Film machen konnte. Diese Kompaktkamera mit einer integrierten Festbrennweite von geschätzten 24mm, diente natürlich nicht im Ansatz dazu, ein Flugzeug zu fotografieren, welches mehrere hundert Meter entfernt nur noch ein kleiner Stich in der Landschaft war. Ein Teleobjektiv mit 200mm wäre an der Stelle vermutlich das Mindeste gewesen. Anyway, das hielt mich nicht davon ab, den kompletten Startvorgang des Delta Airline Fluges DL131 als Bild-Serie mit 36 Aufnahmen zu fotografieren… hätte der Film mehr Kapazität gehabt, ich hätte sie genutzt. Meine nichts ahnende Mama, noch in dem festen Glauben ich hätte auch andere Dinge außer der Startbahn fotografiert, wurde nach dem Entwickeln im hiesigen Fotogeschäft eines Besseren belehrt. Mein erster Gehversuch als Fotograf endete somit in einem unspektakulären Daumenkino.

 

„Maybe the loneliness shaped my awareness.“
Alexander von Wiedenbeck

 

Aber zurück zum Thema. Das weniger aufregende Leben im Hinterland, zog seine Spuren in allen Lebensbereichen fort, so auch im beruflichen Werdegang. Der Einser-Schnitt im schulischen Weg hätte eigentlich eine gute Grundlage für ein fundiertes Studium von irgendwas bereitet. Zur damaligen Zeit in den 90ern in einem kleinen bajuwarischen Dorf jedoch, war man(n) mit einem nicht-handwerklichen Beruf erstmal unten durch. Unglaublich aber wahr, selbst eine sofortige Berufsausbildung in einem kaufmännischen Bereich, wäre Grund genug für Spot und Häme gewesen. Ein junger Bursche musste „arbeiten“ – mit seinen Händen freilich. So gab es dann zu jener Zeit eigentlich nur die Möglichkeit ein Schreiner, Maurer, Heizungsbauer oder Mechaniker zu werden. Letzterer war dann mein persönliches Fazit aus dieser Qual der Wahl… vorerst zumindest. Es war denke ich das technische, mechanische das mich besonders interessierte. Zudem hatten Fahrzeuge auch damals schon das Potenzial „sexy“ zu sein, quasi ein schickes modernes Design zu haben. Ebenfalls ein Umstand der mich als junger, heranwachsender Mann faszinierte – Design!

Ein Glück, dass solche Entscheidungen, auch wenn sie auf den ersten Blick wegweisend wirken, nicht dauerhaft die Zukunft bestimmen müssen. So folgte unmittelbar nach meiner technischen Lebenserfahrung, eine kaufmännische Weiterbildung, welche wiederum in einem späteren Studium in der Werbewelt resultierte. Also alles in allem erstmal ein ganz ordentlich Irrlauf, bis es mich in das kreative Gewerbe zog. Rückwirkend betrachtet, und hier verweise ich wieder auf die mit den Jahren veränderte Sichtweise, war jeder dieser Schritte erforderlich um den Weg zu ebnen, welchen ich schlussendlich beschritten habe. Die Verkettung der Ereignisse und Entwicklungen wäre in diesem Maße nicht möglich gewesen und wer weiß, hätte ich meine Kindheit nicht dort an diesem abgeschiedenen Ort verbracht, wäre ich heute nicht der, der ich bin. Ich hatte vor mehr als 10 Jahren schon mal gesagt: „Maybe the loneliness shaped my awareness!“… diese Feststellung kann ich auch heute noch zu 100 Prozent unterschreiben.

Jetzt, im Nachhinein, kann ich zwar auch nur Vermutungen anstellen, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es die im Teenageralter immer mehr werdenden Reisen zu meinen Großeltern waren, welche meine bescheidenen Berufsanfänge so schnell wandelten. Mit der Zeit war es uns möglich nahezu jedes Jahr Urlaub bei ihnen in den USA zu machen und meine Großeltern planten damals für jeden Besuch eine umfangreiche Rundreise durch das Land. Es lässt sich unmöglich alles in Worte fassen, was wir für tolle Geschichten erleben durften. Oft hatten wir viele Wochen auf der Straße und in Hotels verbracht und mit den Jahren konnten wir die kompletten USA von der Ost- bis zur Westküste entdecken. Diese Erlebnisse, die Entdeckungsreisen und die damit verbundene Geschichten die es zu erzählen gab, haben vielleicht schon damals unbewusst meine heutige Arbeit geprägt und den Weg dort hin bereitet, wer weiß…

 

„Live like you‘re already dead, man. Have a good time. Do your best.
Let it all come ripping right through you.“
Jeff Bridges

 

Kommen wir zurück zu meinem beruflichen Irrlauf. Nachdem ich mir nun fundiertes technisches / mechanisches Wissen angeeignet hatte, gefolgt um das kaufmännische Wissen, dass eins und eins manchmal mehr als zwei sein muss, fand ich großen Gefallen daran beides zu nutzen, um meinem Drang der kreativen Selbstverwirklichung nachzugeben. Dies führte dann Anfang der 2000er Jahre via einem Studium zur Gründung einer eigenen Werbeagentur. Der Einstieg war damals ein leichtes, da mein früherer Mentor mein Potenzial erkannt hatte und mir die Chance gab als Freelancer bei ihm einzusteigen. Anfänglich ging es dabei nur um einzelne kleine Werbeprojekte, doch sehr schnell und dank guter Mundpropaganda konnte die Agentur wachsen, Personal einstellt werden und rucki zucki hatten wir uns einen Namen gemacht. Wir durften große mittelständische Unternehmen als Full-Service-Agentur betreuen und so manch schönes Projekt für den ein oder anderen DAX Konzern realisieren. Die Projekte selbst dabei sehr vielseitig und umfangreich. Wir hatten große Kataloge & Broschüren produziert, teilweise mit vielen hunderten Seiten und in verschiedenen Länderversionen von bis zu 10 unterschiedlichen Sprachen… alles gleichzeitig versteht sich. Ebenso hatten wir aber auch große Werbefilme für Marken wie Nissan oder Porsche produziert. Und natürlich standen auch umfangreiche Fotoproduktionen für Kampagnen großer internationaler Marken auf dem Produktionsplan.

Im Zuge dieser immer größer werdenden Projekte und Kunden, wuchs auch mein persönlicher Anspruch an die Qualität, das Design und die persönliche Handschrift in… nun ja, in einfach allem. So passierte es sehr schnell, dass ich mit der gelieferten Qualität der gebuchten Fotografen nicht mehr so ganz zufrieden war… oder sagen wir es mal so, sie konnten das Gesamtbild in meinem Kopf einfach nicht so gut erkennen, wie ich es zuvor bereits visualisiert hatte. Gerade wenn es um komplette Artworks und Sujets ging, reichte es einfach nicht aus, einfach nur eine gute Fotografie zu erstellen. Die Geschichte in allem, der rote Faden, das Layout und vor allem auch das Gefühl, welches sich letztendlich durch den fotografischen Stil darstellen und vermitteln lässt, war mir persönlich sehr wichtig und sollte dem gesamten Projekt und stets dem vollumfänglichen Konzept entsprechen. So etwas war mit externen Fotografen und anderen kreativ Schaffenden nicht immer einfach. Ende 2004 ergab sich dann der glückliche und schicksalhafte Umstand, dass ein gebuchter Fotograf kurzfristig krank geworden war. Die Produktion leider unaufschiebbar, der treibende Kunde im Genick, musste eine schnelle Lösung gefunden werden. So war es dann am Ende der Kunde selbst, welcher mit einer eingestaubten Spiegelreflexkamera zur Location kam, mir selbige in die Hand drückte und meinte: „Du bist der Werber, Du machst das jetzt!“

 

Kapitel 2 – Schicksal als Chance

Dem Moment gezwungenermaßen konfrontiert und zum ersten Mal in meinem Leben mit einer SLR Kamera bewaffnet, hatte ich nun die Chance meine visuellen Wünsche selbst in die Tat umzusetzen. Diese erste Produktion zu jener Zeit natürlich alles andere als ein Meisterwerk… doch wir konnten das Material glücklicherweise noch retten und etwas halbwegs Verwertbares daraus machen. Das viel entscheidendere Resultat jedoch – ich hatte Blut geleckt! Die Möglichkeit mein visuelles Storytelling vollumfänglich selbst in die Hand zu nehmen war ein so erstrebenswertes Ziel, für welches ich nur zu gerne akribisch, ja geradezu besessen dem Horizont entgegen strebte, ohne dabei Fragen offen zu lassen. Allerdings darf ich auch gestehen, dass ich einen gigantischen Respekt vor dem Medium selbst und der Fertigkeit eines Fotografen hatte, so dass ich anfangs ausnahmslos für diesen einen Kunden fotografierte und sich meine Tätigkeiten als „Fotograf“ darüberhinaus, einzig und allein auf das Selbststudium beschränkte. Wenn die digitale Fotografie auch bereits großen Einzug in den Markt erhalten hatte, so war es noch nicht annähernd so verbreitet wie heute, dass man quasi so einfach über Nacht aus dem Nichts ein Fotograf wurde. Das einst respektierte Handwerk der Fotografie, welches damals in Deutschland übrigens einen Meisterbrief erforderte, war und ist auch nach wie vor nichts, das sich einzig mit gutem Willen professionell und hochwertig umsetzen lässt. Es bedarf schon einer großen Anzahl an schlechten Bildern und Erfahrungen, sowie einem entsprechenden technischen Verständnis von der Entstehung eines Moments bis zur finalen „Fotografie“, gedruckt versteht sich. Denn zu einer guten und hochwertigen Fotografie gehört meiner Meinung nach mehr, als nur ein 1.000 Pixel Beitrag in den sozialen Netzwerken.

 

„Erst wenn es gedruckt ist, ist es eine Fotografie!“
Joel Meyerowitz

 

In den folgenden Monaten hatte ich mich dann im ersten Schritt mit dem technischen Hintergrund und der Herkunft der Fotografie, zurück bis zur Lochkamera beschäftigt. Ich hatte unzählige Bücher verschlungen, mir hochwertiges Equipment zugelegt und hatte sogar das Privileg, bei so manchen Größen in der Werbe- und Modofotografie in Europa über die Schulter zu schauen. Erst als ich mir dann zu einhundert Prozent sicher sein konnte, das Medium selbst zu verstehen, die umfangreichen Möglichkeiten der Lichtgestaltung verstanden hatte, erst dann traute ich mich tatsächlich weitere Kampagnen und Produktion anderer meiner Agenturkunden zu realisieren und sogar die Fotografie als eingeständige Dienstleistung anzubieten. Über die darauffolgenden 15 Jahre sollte sich meine Fotografie aber noch so einige Male weiter entwickeln. Die unzähligen Produktionen die da rund um den Globus kamen, boten mir ein unendliches Meer an Erfahrungen und Impressionen. Von Mode-Editorials im Schloß Schönbrunn in Wien, im Nationaltheater in München, oder auf den Straßen von Berlin, Paris oder Hongkong, über Reportagen in der Savanne in Nord Uganda, oder in mitten der Müllkippen und Friedhöfe auf den Philippinen bis hin zu Porträtstrecken im legendären Chateau Marmont am Sunset Strip in Los Angeles, könnte ich so einige Geschichten erzählen… wobei, so manche dieser fotografischen Abenteuer sind ohnehin in meinen Ausstellungen, oder auch in meinem Online-Journal zu entdecken.

Dem tieferen, technischen Verständnis der Fotografie noch nicht genug, sollte mich meine Reise als Autodidakt noch viel weiter führen. Sehr schnell entdeckte ich eine Fotografie über die Werbung hinaus, jene, die viel tiefer geht als der erste Blick erahnen lässt. So studierte ich über die Jahre immer wieder die Werke, aber vor allem die Reisen einer kleinen aber ganz feinen Auswahl an etablierten Fotografen wie Lindbergh, Salgado, Newton, Leibovitz, Meyerowitz oder Corbijn. Ich erkannte am Ende vor allem, dass technische Perfektion nicht alles ist. Bildsprache, Tiefgang, das eigene „Sehen“ resultierend aus einer Kombination von Herz, Kopf und Bauch führen am Ende zu einer eigenen Bildsprache und zu einem roten Faden (etwas das ich wie erwähnt bei meinen Werbeproduktionen stets im Fokus hatte). Dies ist in der Summe ein bei weitem höheres und erstrebenswerteres Gut, als der perfekte goldene 2/3 Schnitt… welchen ich ohnehin noch nie so recht verstanden hatte. Ich kann mich da noch lebhaft an meine Anfänge in München erinnern, eine weitere Anekdote auf welche ich kurz eingehen möchte… oder besser gesagt muss, da es in jedem Fall auch eine oder vielleicht sogar die wichtigste Erkenntnis für mich war:
Ist man erst einmal in der Fotografie-Szene angekommen, vernetzt man sich ja bekanntlich sehr schnell und tauscht sich aus. So gab es damals in München eine Art monatliches Treffen von ausgewählten Berufsfotografen, bei welchem man seine kommerziellen, oder auch privaten Arbeiten, vorzeigen und mehr oder weniger komplett von seinen Mitstreitern zerlegen lassen durfte. Alles auf freiwilliger Basis natürlich. Ich komme übrigens später noch kurz auf diese Sache mit „kommerzieller“ und „privater“ Arbeit zurück. Diese Fotografentreffs an sich also erstmal eine super nette Sache. Insgesamt waren es immer so 15-25 Fotografen aus den verschiedensten Genres wie Werbung, Mode, Porträt, bis zum Hochzeitsfotografen. Die gezeigten fotografischen Arbeiten hätten dabei kaum unterschiedlicher sein können und die meisten der Anwesenden gaben immer ihr Bestes zu Wort – sehr kritisch, aber von Grund auf sehr ehrlich. Ich hatte zur damaligen Zeit noch viele eigene „private“ Arbeiten, also keine „kommerziellen“ Fotografien mitgenommen. Im Grunde waren es hauptsächlich die verschiedensten Porträt- oder auch Editorialaufnahmen. Jeden Monat dann aufs Neue, wurden meine Bilder vom Initiator des Treffens mit ein und dem selben Vermerk kritisiert – der fehlende goldene 2/3 Schnitt. Mach doch mal hier, schneid doch mal da und so weiter… jeden Monat der gleiche Käse, bis ich (endlich) zu der Erkenntnis gekommen bin: Schluss mit dem Unsinn, ich pfeif auf die Meinung und Kritik anderer… goldener Schnitt fürn Ar…! Unter der ganzen Perfektion und den Regeln und Vorgaben leidet am Ende die Kreativität, die eigene Note, der eigene Bildstil oder besser gesagt, wenn wir uns alle an die gleichen Regeln halten… ja gibt es dann überhaupt noch so etwas wie Stil? Vor allem leidet aber der echte & authentische Moment, das Wesentliche, das um was es in der Fotografie doch gehen sollte… zumindest meiner Meinung nach und dem Wunsch und Anspruch, welchen ich für meine Fotografie habe. Also NEIN zur Hölle! … ich mache hier und heute keinen goldenen Schnitt – I’ll do it my way!

 

„Um etwas zu tun, muss man es sehr lieben. Um etwas sehr zu lieben,
muss man bis zur Verrücktheit daran glauben.“
Che Guevara

 

Kapitel 3 – on my way to…

Befeuert mit dem Impuls von nun an komplett mein eigenes Ding durchzuziehen, mal wieder mit meinem geradezu besessenen Wahn nicht nach rechts und nicht nach links zu schauen, strebte ich (natürlich) danach ein ganz Großer zu werden. Selbstverständlich, dass ich mich da natürlich auch von den ganz Großen inspirieren lassen wollte. Zu damaligen Zeit, ich glaub das ist schon locker 10-15 Jahre her, hegte ich bereits große Bewunderung für die fotografischen Werke von Peter Lindbergh. Sein authentischer Bildstil, die Melancholie in allem, das spiegelte schon sehr mein eigenes inneres Sehen wieder.

Und so überkam es mich eines Tages, meine Tätigkeit in der Agentur und all die Werbeprojekte erstmal weitestgehend zu delegieren, um mir die Zeit frei zu halten, für mein tatsächlich erstes, selbstbestimmtes Werk – mein Erstlingswerk der Bildband OBSESSION FOR FREEDOM –  die Besessenheit von Freiheit… welche nebenbei erwähnt mittlerweile zu einem Tsunami in mir herangewachsen ist. Ich denke, ich wollte damals einfach mal sehen wo mich dieser Weg hinführt und… „after all“ war es tatsächlich einfach nur ein Bauchgefühl, ein kleiner Stups im Inneren, welcher mich dazu veranlasst hatte einen anderen, neuen Weg zu beschreiten. Inspiriert von Peter dachte ich mir, es wäre eine gute Idee an den Strand zu gehen, wobei ich gleich dazu sagen möchte, ich wollte nicht einfach nur dem Fußmarsch eines Peter Lindbergh hinterherlaufen und bien sûr war er auch nicht mein einziger „Influencer“ zu jener Zeit. Es sollten insbesondere auch eigene Überlegungen unternommen werden, wo denn der beste Ort des Geschehens wäre. Nicht zuletzt um es schließlich zu meinem fotografischen Werk zu machen. An dieser Stelle eine kurze und doch sehr wichtige Geschichte welche ich erzählen muss:
Sehr oft hört man von anderen Kollegen, welche in Onlinekursen oder bei Workshops den Semi-Professionellen und Hobbyfotografen etwas beibringen wollen, das sich diese an den Großen der Szene orientieren und sogar „nach-fotografieren“ sollen. Dies mit dem Vorwand herauszufinden, wie der ein oder andere Meister der Fotografie das mit dem Licht und den Posen und so weiter gemacht hat. Ich selbst hatte mal für eine Make-up Schule in München fotografiert, wobei die studierenden Make up Artists immer sogenannte Vorlagen aus irgendwelchen Modemagazinen erhalten haben und selbige mussten dann 1:1 kopiert werden. Eine ganz schreckliche Sache in meinen Augen und ich konnte mich zum Glück ganz schnell wieder befreien, aus dieser Gefangenschaft in Mitten von Plagiaten. Man stelle sich vor, seit Anbeginn der Zeit gäbe es keine eigenständige Kreativität und jeder würde immer nur vorangehendes Wissen nutzen, um vielleicht mit Glück eines Tages selbst etwas zu erschaffen…

Auf jeden Fall war ich selbst ein absoluter Verweigerer mich nach irgendwelchen Vorlagen zu richten. Inspirationen findet man natürlich, letztendlich durch das Wälzen der verschiedensten Bildbände und Bücher, oder auch durch die Besuche der Ausstellungen anderer Fotografen wird man ja immer irgendwie beeinflusst. Durch den ganzen Brei den man dadurch im Kopf behält, findet man zwangsläufig die Bilder anderer in den eigenen Fotografien wieder, ein Prozess der ganz unbewusst geschieht. Keinesfalls jedoch, hätte ich es für meine eigene Entwicklung gut gefunden, etwas bewusst und absichtlich nachzustellen, oder nachzufotografieren. In dem Zusammenhang kann ich mich auch noch an eine ganz witzige Erzählung von Lindbergh erinnern, welche er gemeinsam mit seinem Kumpel Jim Rakete bei einer Lecture bei der CO Berlin, damals noch im Postfuhramt Berlin, zum Besten gab. Eine Geschichte die offenkundig bekannt ist, wie Peter Lindbergh froh darüber ist, bei einem der schlechtesten Fotografen in Düsseldorf gelernt zu haben. Er meinte es war wichtig, die Technik mit Kamera und Licht zu erlernen, doch es war gut, dass es bei seinem Lehrmeister Hans Lux keinen besonders prägenden Bildstil gab, welcher vielleicht unbewusst Einfluss auf ihn genommen hätte. Nur so konnte sich sein eigener Stil entwickeln. Von einem besseren Fotografen hätte er sich viel zu sehr beeinflussen lassen, erzählte Peter damals.

 

„The Photography itself leads you.“
Steve McCurry

 

Nun aber zurück zu meinem Erstlingswerk. Ich wollte damals völlig unbeeinflusst und absolut frei arbeiten und fotografieren, quasi der Geschichte selbst einfach ihren Lauf lassen. Die Wege führten mich hierfür in den hohen Norden an das Wattenmeer bei St. Peter Ording und auf die Insel Sylt. Ich war damals, und bin es heute noch, von dieser unheimlichen Ruhe und Stille beeindruckt. Selbstredend natürlich jene außerhalb der Urlaubssaison, wenn keine Touristen da sind… wenn dann das Wasser komplett gegangen ist, das ist schon beeindruckend. Zudem gefiel mir auch sehr der Umstand, dass man auf Sylt so gut wie keinerlei Werbung sehen konnte. Zumindest nicht auf jenen Wegen, auf welchen wir uns befanden. Das reichte von den Aschenbechern am Tisch bis zu den Sonnenschirmen. Beides nützliche Dinge, welche üblicherweise von Brauereien oder anderen Sponsoren geprägt sind, legt man hier viel Wert darauf alles sehr clean zu belassen. Das gefiel mir schon außerordentlich gut und untermalte somit auch bildhaft meinen Ausstieg aus dem kommerziellen Werbezirkus.

 

Kapitel 4 – nicht das letzte Abenteuer

Zu jener Zeit hatte ich die Werbeproduktionen allesamt mit den Flaggschiffen der Hersteller im Bereich der SLR, sowie Mittelformat Kameras fotografiert. Bei meinem Erstlingswerk jedoch, hatte ich zum ersten Mal im meinem Leben mit einer Leica M fotografiert… und was soll ich sagen, die Veränderung meiner Fotografie war massgeblich. Die totale Reduzierung des Kamerasystems nahezu vollständig ohne Automatikfunktionen und nur mit Messsucher ausgestattet, das musste erstmal erlernt werden. Viel zu sehr ist man heute von der Technik verwöhnt und passt zuweilen gar nicht mehr auf, „wie“ man überhaupt fotografiert. Da war mir diese Reduzierung auf das Wesentliche sehr willkommen und förderte unverzüglich ein neues Sehen. Mit der Leica fühlt man sich, oder zumindest ergeht es mir so, da fühlt es sich so an als wäre man ein Voyeur – man ist nah dran und steht doch abseits. Es war nicht mehr so wie früher, als ich noch mit großem Equipment bewaffnet mehr oder weniger wie ein aufdringlicher und ungewünschter Paparazzi wirken musste. Mit dem großen Gedöns, Zoomobjektiv und Co, machte ich zumeist die Erfahrung, dass die Leute schnell eingeschüchtert waren. Mit der Leica ist nun genau das Gegenteil der Fall und auch ich habe oft das Gefühl, sie erlaubt es mir den Menschen viel offener zu begegnen, damit sie sich am Ende selbst öffnen können. Das spätere, erfolgreiche Wagnis von Leica eine digitale Kamera auf den Markt zu bringen, welche ausnahmslos schwarz/weiß fotografiert… ein grandioser Geniestreich und natürlich ein sofortiges „must have“ für mich, wo ich mich so sehr der schwarz/weiß Fotografie verschrieben habe! Heute liebe ich es sehr und könnte es mir nicht mehr anders vorstellen, mir bereits im Vorfeld Gedanken zu machen, fotografiere ich heute in Farbe oder schwarz/weiß, ohne Rückkehr / ohne farbiges Backup. Ich weiß auch nicht an was es liegt, ob es ein Bauchgefühl ist, von der Tagesstimmung abhängig, oder ob es ganz simple einfach am Motiv liegt, aber manchmal, da möchte ich die Option mit Farbe gar nicht haben. Es erinnert mich sehr an die analogen Zeiten, als man sich noch bewusst Gedanken über die richtige Wahl des Films machen musste. An der Stelle sollte ich übrigens auch erwähnen, dass die Leica M Monochrom mit ihren unglaublich detaillierten Grautönen eine spürbar andere schwarz/weiß Fotografie ermöglicht, als würde man eine farbige Fotografie im Nachgang umwandeln. Es mag verrückt klingen, aber jeder Fotograf der tatsächlich die schwarz/weiß Fotografie zelebriert, der kann diese Spinnerei sicherlich nachvollziehen.

Aber nun genug der Schleichwerbung – auf jeden Fall hatte die Leica meine Fotografie und somit mein ganzheitliches Schaffen deutlich entschleunigt. Wo ich früher mit einem Autofokus und Zoom-Objektiv bewaffnet am Ende einer Reportage mit tausenden Bildern zuhause angekommen bin, da fotografiere ich seither mit meiner Leica und den Festbrennweiten gerade mal ein paar wenige hunderte Bilder. Qualität statt Quantität – gefiel mir schon immer! Die erste beeindruckende Erfahrung zu dieser Entschleunigung und Reduzierung auf das Wesentliche, sollte mein Herzensprojekt HOPE – by Alexander von Wiedenbeck werden. Nach der Produktion von OBSESSION FOR FREEDOM wollte ich ein neues Buchprojekt starten. Sehr geprägt von all dem Glück, welches ich in meinem Leben erfahren durfte, hatte mir die Welt auf meinem bislang spannenden Lebensweg schon viel gegeben. Es fühlte sich nach einem Punkt an, wo es an der Zeit wäre etwas zurückzugeben. Vielleicht wollte ich aber auch einfach nur einen kleinen Beitrag leisten… keine Ahnung!?

 

„They opened up my heart so much more than I had ever thought possible!“
Alexander von Wiedenbeck

 

So zog ich damals, gemeinsam mit der Aktionsgruppe Kinder in Not aus Windhagen los und besuchte die Müllkippen- und Friedhofskinder auf den Philippinen. Das Ziel: eine umfangreiche Fotoreportage & Erzählung über das Leben dieser Kids, ungeschönt, unretuschiert – ehrlich & authentisch. Eine Info gleich vorweg, was es damit auf sich hatte, dass ich etwas zurückgeben wollte – dieses, mein Herzensprojekt ist am Ende resultiert als einhundert Prozent Non-Profit Fotografie Ausstellung. Sämtliche Gewinne aus den Verkäufen des Ausstellungskataloges, sowie der limitierten Kunstdrucke wurden und werden nach wie vor in die Hilfsprojekte auf den Philippinen gespendet und dort nachhaltig verwendet. Bis dato konnten knapp 50.000 Euro generiert werden, eine Summe, welche auf den Philippinen bereits so einiges bewirken konnte…. nun aber zurück zu meiner Reise und der prägenden Erlebnisse. (Die ganze Erzählung zu HOPE – by Alexander von Wiedenbeck ist übrigens online unter www.alexandervonwiedenbeck.com, oder im Ausstellungskatalog zu entdecken.)

Diese Reise auf die Philippinen, mit wirklich brutalen Erlebnissen, hatte mich so einiges an Emotionen gekostet. Vermutlich war ich hier, zum allerersten Mal in meinem Leben, tatsächlich hautnah dran. Ob das der Leica geschuldet war? Ich weiß es nicht, könnte sein. Vielleicht hab ich mich aber auch nur mit ihr das erste Mal getraut, näher ran zu gehen?! Auf jedem Fall war die Verbindung zu den Kindern, bzw. generell zu allem was ich fotografierte, so tief und prägend und es sollte sich auch im Nachgang zurück im Atelier herausstellen, dass der komplette Prozess der Selektierung und Entwicklung um einiges intensiver wurde, als ich das bislang kannte. Sicherlich, das Thema selbst war da schon auch dafür verantwortlich, aber ohne dieser Nähe die ich da neu gewinnen konnte, wären die Fotografien nicht im Ansatz so bewegend und echt geworden, wie sie das jetzt sind.

 

„Do the commercials in color and your personal work in black & white.“
Henri Cartier Bresson

 

Noch gebeutelt von all der Demut und sichtbar, spürbar geprägt von den Erlebnissen, durfte ich erneut meine Zukunft in Frage stellen. Dieses Mal jedoch nicht nur in beruflicher Hinsicht, sondern generell privat, menschlich, stellt sich die Frage – wer bin ich und wer möchte ich sein?

Eines war klar, der ganze Käse um die Werbung, der musste aufhören. Allgemein… beziehungsweise hier ist glaube ich der richtige Moment, um auf die Thematik mit kommerzieller und persönlicher Arbeit einzugehen. Denn warum zum Teufel muss das denn einen Unterschied machen. Cartier-Bresson sagte mal, „deine kommerziellen Arbeiten machst du in Farbe und deine persönlichen in schwarz/weiß“ … zur damaligen Zeit, als die Werbung uns noch nicht omnipräsent durch den Tag begleitet hatte, da mag das sicherlich noch ganz gut gewesen sein. In der heutigen Zeit jedoch, da beschäftigt mich Folgendes dabei:
Der ganze Werbezirkus verschlingt Unsummen an Budgets einzig und allein, um ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit bei den Verbrauchern zu erzeugen. Selbige zumeist genervt von all der Werbung die den ganzen Tag auf einen einprasselt. Umgekehrt aber, die freien und persönlichen Arbeiten vieler Fotografen werden von den selben Verbrauchern gerade zu verschlungen. Gar Eintrittsgelder werden bezahlt, um Stunden mit den persönlichen Arbeiten in Ausstellungen verbringen zu dürfen. Wie grandios wäre es denn dann, wenn auch die kommerziellen Arbeiten eine solche Qualität hätten, dass der Mensch beinahe Eintritt bezahlen möchte, nur um Werbung zu sehen… ein interessanter Gedanke, nicht wahr? Somit wiederhole ich die Frage, warum dürfen oder sollen kommerzielle Arbeiten nicht persönlich sein? Wären sie nicht viel besser und authentischer und würden sie ihr Ziel nicht viel intensiver und effektiver verfolgen, wenn sie denn persönlicher wären? Ich muss immer schmunzeln, wenn ich ab und dann vereinzelt besondere fotografische Werbekampagnen von großen Fotografen wie Lindbergh oder auch McCurry sehe. Es war glaube ich Louis Vuitton, bei welchen ich erst neulich von beiden Fotografen ältere Kampagnen auf Social Media Kanälen gesehen hatte, die Fotografien sahen einfach nur schrecklich aus. Absolut gestellt, unmögliche Posen, überretuschiert fern jeglicher Realität… schlicht und ergreifend, langweilige Werbung. Hätten sie es nicht darunter geschrieben, wäre ich nie im Leben darauf gekommen, dass diese Fotografien aus der Schöpfung von Peter Lindbergh stammten, wo man doch eigentlich einen Lindbergh immer erkennt wenn man ihn sieht, oder?!

 

„Nicht die rationellen Entscheidungen im Leben waren die richtigen, sondern die inneren,
die Entscheidungen aus einem Impuls heraus.“
Alexander von Wiedenbeck

 

Ab diesem Zeitpunkt, meinen Erlebnissen auf den Philippinen und der Entdeckung einer neuen, tieferen und persönlicheren Fotografie, wollte ich mich mehr auf die Straßenfotografie bzw. auch verstärkt auf die Erzählung meiner Erlebnisse und Geschichten fokussieren. Reportagen standen dafür hoch im Kurs und so folgten in den Jahren danach zahlreiche solcher intensiven Erfahrungen rund um den Globus. Für die Stärkung der Frauenrechte durfte ich nach Nepal, Nord-Uganda und Kenia reisen, welche mich zuweilen auch an meine körperlichen Grenzen gebracht hatten. (Einige dieser Geschichten sind auch bei meinen Ausstellungen, oder online ausführlich erzählt) Eine Reportage über Flüchtlinge aus Myanmar, welche ich für CARE Österreich und RAKS Thailand fotografierte, war auch ein sehr besonderes Erlebnis und eine umfangreiche Geschichte, welche ich später in Form einer Ausstellung gleich an mehrere Orten, wie im Weltmuseum Wien oder im BACC in Bangkok, zeigen und erzählen durfte.

Allgemein hatte mich die Reportagefotografie in den letzten Jahren sehr geprägt. Erneut durfte ich mich, quasi im Selbststudium dabei beobachten, wie ich zahlreiche alte Bekannte neu entdeckte. Robert Frank, Henri Cartier-Bresson, Ralph Gibson aber vor allem auch Sebastiao Salgado – alle samt große Männer der Reportage oder Straßenfotografie. Die Macht, das Potenzial eine ganze Geschichte mit der Fotografie zu erzählen, das hat schon was. Wenn ich heute rückblickend an meine Kindheit denke, die früheren Reisen, die Erlebnisse und Geschichten auf der einen Seite und auf der anderen die Isolation und Abgeschiedenheit in der Provinz, dann war es vermutlich dieses Zusammenspiel, welches meine Aufmerksamkeit, die Freude an der Erzählung, aber ebenso meine Empathie gegenüber… naja, gegenüber einfach allem geprägt hat. Nur zu gerne verliere ich mich heute in der Fotografie und der Geschichtenerzählerei. Ein Thema, ein Auftrag, eine Reise, das alles bietet für einen kreativ Schaffenden so vieles mehr und wenn man es möchte und zu lässt – dann kann man sich sogar darin verlieren.

 

Kapitel 5 – this is not the end

Meine ganze Aufmerksamkeit dieser Leidenschaft für die Reportagefotografie gewidmet und dadurch auch zunehmend immer detaillierteres Geschichtenerzählen, oder zu neu-deutsch „Storytelling“, fühlte es sich diesmal tatsächlich so an, als wäre ich angekommen. Den verschiedenen Themen, welchen ich mir angenommen und einverleibt habe zum Dank, hatte ich die Möglichkeit schon an unzähligen Gruppenausstellungen, aber vor allem auch sehr viele Einzelausstellungen auf die Beine stellen. Wenn einem das Privileg zu Teil wird, in großen Häusern der Welt ausstellen dürfen, oder auf der anderen Seite auch die unglaublich gut besuchten Ausstellungen in meiner bayrischen Heimat – das ist die Freude pur, jedes Mal aufs Neue – und dafür hängt man sich natürlich rein.

So kommt es von mal zu mal in gesteigerter Form, jene Geschichten besser und tiefgründiger zu erzählen. Erst meine letzte Einzelausstellung Vergeßt mir die liebe nicht! zeigte mir das im ganzen Ausmaß. Die Schreiberei der Geschichte dahinter, welche dieses Mal schon vor der Fotografie erlebt wurde, das buchstäbliche Verbinden von Wort & Bild in einer so persönlichen und ungeschönten Erzählung, mit welcher man am Ende (zum Glück) die Menschen tatsächlich berühren kann, ja stellenweise, zumindest wurde mir das so zugetragen und aus erster Hand erzählt, konnte diese meine Geschichte die Betrachter sogar bereichern und deren Leben ein Stück weg beeinflussen… das ist schon grandios!

Zugleich darf ich aber auch gestehen, als jemanden der stets im Wandel ist, muss ich immer besser aufpassen mich nicht darin zu verlieren. Gerade das Schreiben der eigenen Gedanken, kombiniert mit dem verrückten Wunsch eine jede Arbeit zu meinem persönlichen Werk zu machen, das kann jemanden schon in einen Strudel hineinziehen, in welchem man große Gefahr läuft abzusaufen. Erst einmal darin verloren, durfte ich schon des Öfteren die Erfahrung einer Schreibblockade machen. Die meisten echten Schriftsteller und Journalisten kennen das vermutlich noch viel besser als ich, wenn man vor einer guten Geschichte sitzt, eigentlich alles im Kopf hat und dann aber doch wieder nichts zu Papier bringt… am Ende sogar das fotografische Auge versagt und man mit der Kamera bewaffnet in der Mitte dessen von allem steht und doch nichts erkennen kann…

Glücklicherweise jedoch, und ein Zitat von Annie Leibowitz unterstreicht das ganz gut, „als Fotograf kann man nicht stoppen zu sehen, man sieht unentwegt“… vermutlich diesem Umstand geschuldet, wurde bislang am Ende doch immer alles gut. Doch man erkennt auch, ich schätze wiedermal dem zunehmenden Alter geschuldet, dass man sich nicht mehr jedem Thema mit einer solchen Intensität widmen kann oder möchte, wie man das am Anfang in einer, nennen wir es selbstfinderischen Phase gemacht hat. Je mehr man mit den Erfahrungen sein eigenes Profil geschärft hat, desto mehr entdeckt man was einem liegt, was einem nicht liegt und desto mehr muss man die Qualität und die damit verbundene Leidenschaft hegen und pflegen.

 

„Be always a part of the street and be a good human being.“
Joel Meyerowitz

 

Neben den ganzen umfangreichen Stories kann ich aber auch sagen, dass es gerade die ungeplante Straßenfotografie ist, die wenigen aber intensiven Einzelbilder nicht einer Geschichte zugehörig, welche mich auch immer wieder neu begeistern. Erneut darf ich dabei auf den Wandel der eigenen Sichtweise verweisen, weshalb ich im Laufe der Zeit immer wieder neue und alte Fotografien in meinem Sammelsurium entdecke, welche mir etwas Neues zeigen und erzählen. Das erlaubt die Aussagen: Einzelbilder können auch großartige Geschichtenerzähler sein und lassen oft mehr Raum für den Betrachter. In meinem Daily Planet von Wiedenbeck sind unzählige bekannte, und auch laufend noch unbekannte solcher Fotografien zu entdecken. Allerdings darf ich auch gestehen, zu viel Raum möchte ich dem Betrachter auch nicht erlauben. Dies erneut mit einer kleinen Geschichte dazu erklärt… es ist die letzte, versprochen:
Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern bei welcher Ausstellung es genau war, oder bei welcher meiner Fotografien. Ich weiß aber noch gut den Moment, als zwei mir unbekannte Besucher, ich vermute mal sie erkannten mich nicht, da sie mich zwar gesehen aber nicht wahrgenommen hatten… auf jeden Fall sagte die eine Dame zu Ihrer Begleitung, „das Bild ist aber schön, da kann man so viel hineininterpretieren“… der Schock über diese Aussage zu einer meiner Fotografien saß erstmal tief und musste verdaut werden. War es mir doch so wichtig, dass der Betrachter etwas „herauslesen“ konnte, weil ich ja etwas zu erzählen hatte… wie schlimm ist dann die Aussage, dass man „alles mögliche“ hineininterpretieren kann?! Für einen Jackson Pollock wäre das sicherlich ein großartiges Kompliment, aber für mich als Geschichtenerzähler? Lange ists bereits her und heute, beim Blick auf so manche meiner Fotografien, kann ich diese damals niederschmetternde Aussage mittlerweile sehr gut verstehen, mit dem Resume – alles kann, nichts muss.

Mit dieser lehrreichen Erkenntnis, komme ich nun dem Ende der Vita meines Lebens näher. Wenn ich mir jetzt diese vorangehenden Zeilen nochmal durchlese, darf ich ohne Skrupel behaupten, das ist „the frozen truth“. Sicherlich gäbe es noch viel mehr über mich zu erfahren und zu so mancher Geschichte könnte ich ganze Bände erzählen… wobei, wenn man sich nun meine Arbeiten, meine Geschichten und meine Fotografien näher ansieht, ich glaube dann habe ich das eigentlich bereits getan. Anyway… schlussendlich kann ich nach all dem Wandel in meinem Leben sagen, dass ich heute angekommen bin. Meine Fotografie, meine Geschichten, einfach meine vollumfängliche Arbeit ist heute ausnahmslos was meiner inneren Leidenschaft entspricht. Des Menschen Vergangenheit macht einem zu dem, der man heute ist und eines ist mal klar, an Erfahrung und Veränderung fehlt es diesem Leben an nichts… und das erlaubt mir den glücklichen Umstand das zu tun was mir Spaß macht. Ich denke über die Zeit kristallisierte es sich bei meiner Arbeit heraus, dass die Genres allesamt verschmolzen sind. Werbung, Street, Reportage, Porträt, Mode… manchmal ist es alles zugleich und doch nichts davon. Wichtig ist mir dabei nur folgendes:
Meine Prämisse, dass Qualität über Quantität steht. Der rote Faden in allem und mein Bestreben nach Freiheit & Ehrlichkeit, gepaart mit Empathie und Leidenschaft… und wer weiß, vielleicht ist es am Ende die Summe dessen, was meine Arbeit, die eines Fotografen und Geschichtenerzählers, ausmacht. Empathie gepaart mit der Leidenschaft, sich egal in was es ist, mit ganzem Herzen einzubringen, resultiert am Ende in einer tollen Geschichte … und sind wir mal ganz ehrlich, hat man erst ne tolle Geschichte gehört, ist es einem doch scheiß egal ob die jetzt kommerziell oder persönlich, privat oder sonst was ist… es ist einfach eine gute Geschichte, oder nicht?

 

Euer Alexander von Wiedenbeck